Filmweisen – Zwischen Poesie und Pamphlet
Das ray Filmmagazin hat eine Sonderausgabe zum Internationalen Kinderfilmfestival 2024 gestaltet.
Darin finden Sie Texte und Interviews zu den Festivalfilmen sowie alle wichtigen Termine. Die Sonderausgabe liegt zur freien Entnahme in allen Viennale- und Kinderfilmfestival-
Erst durch kreativ bewusst gesetzte Zwischentöne und Metaphern in Bild, Ton und Bild/Ton–Montagen werden Themen sinnlich-intellektuell erfasst. Durch die jeweils gewählte filmische Sprechweise tragen Gestaltungsmerkmale und Verfahrensweisen zum Erlebnis im Erzählraum Kino bei. Nachstehende Anmerkungen stellen prägende „Akteure“ zum filmischen Dialog über das Thema Kinderrechte vor.
FILMWEISEN – UNTERSCHÄTZTE GESTALTUNGSDETAILS
Kinderrechte sind Menschenrechte, und Kinderfilme stellen besonders die jüngsten Menschen in den Mittelpunkt. Detailreich finden sich in diesen Filmen verschiedene Spuren, seien sie ästhetische oder inhaltliche Abdrücke, die die Themen des gesamten Kunstwerks spiegeln. Beim ersten Blick oftmals unbeachtete, in der wiederholten Wiederkehr im Laufe der Erzählung auffällig werdende Gestaltungsweisen setzen sich zum Beispiel zur übergeordneten Idee „Kinderrechte“ zusammen. Absehend „von den großen Zügen eines Gemäldes (….) und die charakteristische Bedeutung von untergeordneten Details“ hervorhebend, bezieht sich Sigmund Freud auf die Recherchearbeit eines Kunstkenners, Ivan Lermolieff, um – in seinem Falle – von Original und Kopie zu unterscheiden, die Freud methodisch der Psychoanalyse ähnlich findet.
UNTERGEORDNETE DETAILS
Die Freude in den Gesichtern in Fußball am Dach, zuerst in Großaufnahme, dann mit Weitaufnahme in Rhythmus gebrachte lebendige Tanzbewegungen und bei näherem Hinsehen durch die Abendsonne „umkränzte“ Köpfe glücklicher Mädchen werden durch diese bewusste Lichtregelung veredelnd wahrgenommen.
Licht als aktiver Teil der Handlung, ohne besonders in den Vordergrund gerückt zu werden, sind die Bildvariationen mit Sonne in Saudade – Die Sehnsucht in mir, wie sie der langsam erblindene Bruno immer weniger zu erkennen vermag. Diese Beziehung Brunos zur Sonne und damit zum Licht ganz allgemein führt uns, ganz nebenbei, in die Gefühlswelt des Jungen. Darüber werden diese Emotionen in der Familie wenig besprochen. Viel mehr wird mitgefühlt und fast körperlich erlebt, so als würde man selbst erblinden.
FANTASIEWELTEN
Vordergründig untergeordnete Details in der filmischen Autor:innenhandschrift, also typisch für Stil, Kulturkreis und Ausdruck, wie, um nur einige zu nennen. Licht, Erzählrhythmus im Schnitt oder das retardierende dramaturgische Moment, auf das besonders, da oft unterschätzt, nachhaltig aufmerksam gemacht werden soll. Variationen in den Erzählmotiven, die zu einer einzigen Idee in der Dauer der Filmerzählung zusammenlaufen, zu erkennen, fördert die thematische Sensibilität, zum Beispiel des angesprochenen Themas „Kinderrechte“. Sind aber nicht alle Filme, die für das Festival ausgesucht werden, eine „Streitschrift“ für die Rechte der Kinder? Auffällig bei vielen der diesjährigen Festivalfilme ist es, um emotionale oder soziale Rechte durchzusetzen, die Hauptkindercharaktere immer durch eine parallele Fantasiewelt gehen zu lassen, um in der Realität mit neuer Sicht auf die Welt und mit gestärktem Selbstbewusstsein anzukommen. Mystische Berge, tanzende Schuhe oder ein fliegender Étienne (=Hauptfigur) in Echo an Delta machen den betrübenden und bedrückten Alltag erträglich, in dem Würde und Recht, Freude und Augenblicke des Glücks, Rechte, die den Kindern, aber nicht nur diesen, zu oft vorenthalten werden, verloren gehen.
VORTEIL: GENREFILM
Eine zweite Auffälligkeit bleibt auch, dass gegenwärtig Genrefilme im internationalen Angebot überwiegen. Davon unbenommen, bzw. umso stärker, tritt das abstrakte Thema „Kinderrechte“ in formal-ästhetischer Weise konkret-emotional in das Interesse des Publikums, da die Genregesetzmäßigkeiten ja bereits eingewöhnt sind. Das Interesse kann sich deshalb auf Nebenaspekte beziehen, die fein gesponnen ihre filmsprachlichen Konventionen neu variieren können. Das gilt zum Beispiel bei Fußball am Dach für die wiederholten Panoramablicke auf die farblich unterschiedlichen Dressen der Mannschaften und bei den immer wieder überraschenden Örtlichkeiten, staubiger Sportplatz, grasbewachsener Fußballplatz oder die Rückkehr der Dorfmannschaft auf das Dach des Dorfes. Unbesprochen werden durch diese Varianten Aufstieg und Alltag der Mannschaft so nebenbei, aber sinnlich bei entsprechender Aufmerksamkeit präsentiert. An Refrains in einem Gedicht lassen diese in Abstand einander folgenden Einstellungen in der Dauer der Erzählung erinnern.
REFRAIN
Diese Refrain Struktur findet sich in einem weiteren Beispiel in Uproar – Aufruhr. Die zu Beginn als bemitleidenswert belächelte Figur Josh, die ein leichtes Opfer für Mobbing darstellt, wird wiederholt durch eine Einstellung, ähnlich dem Blick in einen Spiegel, auf das frontal gezeigte Gesicht, das Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung ausdrückt, nachdrücklich uns nähergebracht. Diese Gefühle nach au- ßen gekehrt, wie ins Gesicht geschrieben, zeichnen das seelische Leid stellvertretend für alle anderen in ähnlicher Situation Betroffenen nach. Kleine Gesten im Bild, zeitlich verschobene Sequenzen oder zu den Bildern dislozierte Musiken machen aufmerksam auf „untergeordnete Details“, die in Summe das Thema puzzlehaft intellektuell und emotional „zusammenkleben“ lassen.
ZWEI IDENTIFIKATIONEN
„Mitleid mit …. und Furcht vor…“ bleiben zwei Nebeneffekte, die durch die Unmittelbarkeit des Gesichts Josh erhellt und nachhaltig wirksam werden, Refrain und diskreten Darstellungen, die vorerst nichts in den dominanten Mittelpunkt rücken möchte, verdichten einen Begriff wie „Kinderrechte“, der nicht explizit ausgedrückt wird, aber umso wirksamer und nachhaltiger sich einprägt. Aktualisiert damit wird auch die zu erkennende erste Identifikation, die davon ausgeht, dass nicht nur Motive und Themen durch Nacherleben mit bestimmten, persönlich ansprechenden Charaktere vertiefend erlebt werden können, sondern auch jene mit dem Gesamtkunstwerk Film zweite Identifikation, bestehend aus Publikum, Raum und den bereits genannten Einzelfähigkeiten wie Lichtsetzung, Musik, Bild und Ausschnitt, Rhythmus in Montage, etc., die die Zuschauerin in den Bann der Diegese ziehen lässt. Trotz der klaustrophobischen Atmosphäre in Das Geheimnis am Himbeerhügel, trotz der auch wieder bemerkbaren mysteriösen Person Ruben, die noch hilfreich sein wird, hält man sich gerne fest am „Rahmen“ der dadurch ermöglichenden zweiten Identifikation, um sich nicht in der ersten gemeinsam mit Stina, der Hauptprotagonistin, zu verlieren.
EPILOG: DIE EINSTELLUNG
Die letzte Einstellung in vielen Filmerzählungen lässt nochmals die Intention der soeben gesehenen Filmerzählung spüren. Das Recht wie in Tony, Shelly und das magische Licht auf das von Innen-Her-Leuchten zu dürfen, der gelbe Falter in Echo an Delta, der die Handlung unablässig verfolgt, eine große gemeinsame Schneeballschlacht aus Lars ist LOL oder Josh in Uproar – Aufruhr, der in Siegerpose sich ablichten lässt, setzen den optischen, lange noch in Erinnerung bleibenden Abschluss. Diese oftmals von den AutorInnen wohl überlegt gewählten Schlussbilder eröffnen von Neuem den soeben erlebten Erzählraum und fügen durch neu erkannte formale Details oftmals tiefere inhaltliche Akzente hinzu.
Dr. Franz Grafl,
promoviert in Theater- und Politikwissenschaft, Mitarbeiter des Kinderfilmfestivals
Aktuelles Projekt: „Dem Film seine Zeit“, Zur filmästhetischen Entwicklung seit 1946 – Internationales Filmfestival Cannes.